»Hoch die Eisen!« — Handmade Kultur
Verrückter geht's nicht: »Extreme Ironing« vereint Extremsportart mit Extrembügeln unter extremen Bedingungen. Text: Jennifer Giwi
Wasserdampf entweicht mit einem
leisen »Zzzzisch«.
Der Himmel – ein endloses
Blau. Phil »Steam« Shaw hat einen Zwölf-Stunden-
Aufstieg hinter sich und ist nun auf dem Gipfel angekommen.
Schweißperlen rinnen über seine Stirn. Er
schaut zum Tal hinunter, dann greift er zum Bügeleisen.
Über der blauen Stichflamme des Bunsenbrenners
erhitzt der Engländer das Eisen. Das Bügelbrett steht
ein wenig schief auf dem unebenen Felsboden. Und
dennoch: Der Bergsteiger glättet gekonnt die Hemdfalten.
Phil nennt das: Extrembügeln »Rocky Style«.
Phil Shaw ist der Erfinder des »Extreme
Ironing«. Wie es dazu kam, erklärt er so: »Meine
Mutter hat darauf geachtet, dass ich schon früh lerne,
alleine klarzukommen. Und dazu gehörte eben auch:
Hemden bügeln. Ich war damals 22. Ich kam von der
Arbeit und zu Hause wartete ein riesiger Berg Bügelwäsche
auf mich. Draußen schien die Sonne. Also
schnappte ich mir das Bügelbrett, das Eisen und plättete
zum ersten Mal open air im Garten.«
Bald darauf begann Phil, das Bügeln mit anderen
Sportarten zu kombinieren. Als begeisterter Bergsteiger
stand fest, das nächste Mal, wenn's hoch geht, ist
noch etwas mehr im Gepäck: ein Oberhemd, Bügeleisen
und Bügelbrett. »Für mich gibt es viele Gründe,
warum ich das tue: Es macht Spaß, es fordert mich
heraus, die Leute finden es lustig und ich kehre mit
einem frisch gebügeltem Hemd nach Hause zurück.«
Auf einer Reise nach Neuseeland, im
Jahr 2000, traf der heute 37-Jährige den Deutschen
Kai Zosseder, der sich in der Szene schnell als »Hot
Crease« einen Namen machte. Er brachte das Extrembügeln
nach Deutschland und gründete in München
noch im gleichen Jahr die German Extreme Ironing
Section (EIS). Nur zwei Jahre später, 2002, trug die
Bayernhauptstadt die erste Weltmeisterschaft im Extrembügeln
aus! Phil war natürlich dabei und gehörte
schließlich zum Gewinnerteam.
Heute sind beide keine aktiven Extrembügler mehr.
»Jetzt habe ich ganz gerne ›Bodenhaftung‹ und spiele
Fußball, jogge oder fahre Ski«, lacht Phil.
Anhänger des Extrembügelns gibt es
mittlerweile weltweit: in Neuseeland, Südafrika, England,
Dänemark, Frankreich, und Island. Phil und
seine Mitstreiter entwickelten das Extreme Ironing
ständig weiter. Mittlerweile gibt es viele Arten: zum
Beispiel das Water Ironing, womit sowohl das Unterwasserbügeln
in Taucherausrüstung gemeint sein
kann als auch das Bügeln auf einem Surfbrett. Oder
das Urban Ironing, bei dem man vorzugsweise in der
Stadt, beispielsweise auf einem Auto oder in einem
Telefonhäuschen, plättet; oder der Forest Style – hier
wird an oder auf Bäumen gebügelt. Beim Free Style
schließlich sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt;
mehrere Teilnehmer können zusammen bügeln oder
auch mehrere Eisen benutzen. Im Grunde lässt sich
unter dieser Art alles zusammenfassen, was sonst
nirgendwo hineinpasst wie das Bügeln auf Inlinesskates
oder auf dem Fahrrad. Das Synchronbügeln
kann mit allen Styles kombiniert werden, wichtig ist
einzig und allein: Die Abläufe der Teilnehmer müssen
synchron sein. Einen ganz besonderen Nervenkitzel
verspricht der Air Style: Hier wird das Hemd beim
Bungee Jumping geplättet … aaaaaahhhhhh!
Wer Bügeln also nicht unbedingt spannend
oder wenigstens entspannend findet, der kann die
Hausarbeit zur Draußenarbeit machen. Die Sonne im
Garten ist schon da, und wer weiß, vielleicht ruft ja
auch bald der Berg.